examen21

8.–12. Dezember
documenta Halle Kassel

Wir danken der cdw Stiftung
für die großzügige Unterstützung
der Examen

Öffnungszeiten
Do und Fr 13–20 Uhr
Sa und So 11–20 Uhr
Eintritt frei

wild things tender narrations

curatorial letter


Worte, Wörter, Ausstellungsbeginn. Wörter der Ausstellung mitgeben. Unds, Oders aneinanderreihen. Nicht so viel Vielleichts. Wörter an die Hand geben, die an die Hand nehmen. Erstmal den Titel erklären. Wilde Dinge, zärtliche Erzählungen. 

 Wilde Dinge. Wild, wie Ankommen an der Kunsthochschule Kassel (Yuan Yang); die Verbindung der Neuen Rechten mit Frauenrechten (Luisa Döls); und dass Monster aus Plastik vielleicht die am organischsten wirkenden Dinge in der Ausstellung sind (Linus Clostermann). Wild, als Unangepasstheit, Nicht-hinein-passen-können, und -wollen, als Flucht-aus-den-Kategorien und Rettung-in-Irgendwas-Anderes.

Die wilden Dinge borge ich von Jack Halberstam: „If the wild has anything to tell us, it is this: unbuild the world you inhabit, unmake its relentless commitment to the same, ignore the calls for more“. Wild, wie die Beobachtung einer Vogelfamilie über drei Monate zweimal täglich, verbunden mit der selbstgestellten Aufgabe, ihnen ein Libretto beizubringen (Tanja Böhme) oder wie der wiederholte Versuch, mit dem eigenen ausweichenden Vater über die Nazivergangenheit des Großvaters zu sprechen (Kai Bannert). Die Arbeiten bewohnen Zwischenräume. Sie verlassen die Gegenwart und entgleiten dem ersten Eindruck, der sie zu kennen scheint. 

Der zweite Eindruck dauert länger, kommt vielleicht näher, oder verweilt kurz auf Distanz. Es ist ein zärtlicher Blick, im Sinne von Olga Tokarczuk: “Tenderness is the most modest form of love[,] (…) no one swears by it, no one cites it. It has no special emblems or symbols, nor does it lead to crime, or prompt envy. It appears wherever we take a close and careful look at another being, at something that is not our ‘self’. (...) It is a way of looking that shows the world as being alive, living, interconnected, cooperating with, and codependent on itself.” 

Zärtlich, wie Gefühle angesichts eines ehemals besetzten, nun gerodeten Waldes (Malte J. Richter), einer detailreichen Studie der Vor- und Nachteile gewerkschaftlicher Organisationsmöglichkeiten im Industriedesign (Jule Leinpinsel) oder wie der Versuch, die Wahrnehmungsveränderungen der Großmutter in Malerei zu fassen (Andreas Kumerics). 

Der Titel kombiniert zwei literarische Figuren – wild things aus Jack Halberstams „Wild Things. Disorder of Desire“ (2020) und tender narrations aus Olga Tokarczuks Nobelpreisrede (2019). Er wird zu einem poetischen Suchbegriff,  einem suchenden Begriff, der Schnittstellen abtastet und Arbeiten in neue Konstellationen setzt: Worte, die einer Ausstellung mitgegeben werden, Konjunktionen, die kommen und gehen. 

Unds, vielleichts, mehrs oder wenigers, die auch das Begleitprogramm der Ausstellung prägen: Ein Diskursprogramm, bestehend aus drei moderierten Diskussionsrunden, in denen Ausstellende inhaltliche Überschneidungen, methodische Ansätze, Produktionsprozesse vorstellen und diskutieren, wird von einem Gespräch mit der Philosophin Eva von Redecker und dem Kurator*innenkollektiv ruangrupa eröffnet. 

Beide Positionen, Eva von Redecker und ruangrupa, fragen nach einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, und allem, was damit zusammenhängt, wenn man dies wirklich ernst nimmt. Während Eva von Redecker die Umrisse einer im Entstehen begriffenen Welt vorzeichnet – „Eine Welt, in der wir pflegen, statt zu beherrschen, teilen, statt zu verwerten, regenerieren, statt zu erschöpfen, und retten, statt zu zerstören.“ – berufen sich ruangrupa auf lumbung als Vorbild für ihre kuratorische Praxis: „lumbung ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. (…) Im Mittelpunkt von lumbung stehen die Vorstellung und der Aufbau dieser kollektiven, geteilten Ressourcen für neue Nachhaltigkeitsmodelle und kulturelle Praktiken.“ Ähnliche Visionen, unterschiedliche Ansätze: Das wird spannend!

Viele Arbeiten wurden in diesem Text nicht erwähnt. My bad – ein Grund mehr vorbeizukommen! Worte geben nun der Poesie Raum, der Poesie der Dinge, Arrangements, der gestalterischen und künstlerischen Arbeiten, Installationen, Videos, Sounds, Forschungen, Texte und Tabellen, die in dieser Ausstellung zu finden sind. 

Viel Spaß!

Jandra Böttger

Examensplakat von Jule Leipinsel & Malte Richter
Examensplakat von Jule Leinpinsel & Malte Richter

Vielen Dank für die

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cdw Stiftung, Kunsthochschule Kassel, ambion GmbH, BROTGARTEN J. TEGTMEYER e. K